Die Turmhügelburg Kretier
Von der Turmhügelburg Kretier, eine Wallburg 3 km nordwestlich von Raesfeld an einem Bach gelegen, ist der südliche Teil mit seinen Wällen und Gräben, in einem Waldstück gelegen, noch gut im Gelände zu erkennen (Quellen).
Von dem Nordteil in der angrenzenden Ackerfläche wusste man, dass der aus einem dorn- und buschbewehrten Hügel, dem Vossenbarg (Fuchsberg), umgeben von Wällen und Gräben bestand. Dieser Teil wurde nach Besitzerwechsel um 1880 eingeebnet. Auf Luftbildern, die in trockenen Sommern entstanden sind, kann man noch Spuren der Anlage erahnen (s. Geodatenatlas Kreis Borken).
Aus der Böschung des Baches (der Bekke) konnte man immer wieder Scherben mittelalterlicher Gefäße hervorholen. Schiefergrus fand man auf der Sohle des am Hügel vorbeiführenden Grabens, auch eine schlicht verzierte Fliese. Aus dem mittleren Burggraben stammt eine Handmühle, auch wurden die Reste eines Backofens entdeckt. Am Ende der Borgstegge (Burgstiege) im Westen der Anlage fand man ein Holzwerk aus Balken und Pfosten.
In den Jahren 1953 und 1956/57 wurden unter wissenschaftlicher Leitung des Landesmuseums systematische Grabungen durchgeführt. Auch die Raesfelder Heimatfreunde Martin Drescher, Johann Löchteken und Adalbert Friedrich waren hier fortdauernd im Einsatz.
Die Gesamtanlage umfasst ca. 14 ha, umfasst von einem Graben mit 5 m Breite und 1,5 m Tiefe. Der Aushub bildete beiderseits Wälle, auf dem inneren war eine Palisadenwand errichtet. Der innere Graben liegt ganz im nördlichen eingeebneten Teil, er umschloss den Turmhügel mit einem Durchmessen von 20 m. Auf dem Turmhügel stand ein Holzturm, von dem aber keine Fundamente mehr zu erkennen waren. Durch Suchgrabungen konnten auf dem Boden der Gräfte Holzasche und Schiefergrus (von der Dacheindeckung) gefunden werden, was den Schluss zulässt, dass der Turm durch Unglück oder Feindeinwirkung das Opfer eines Brandes geworden ist.
Holzasche und gebrannter Wandlehm wiesen auf ein Bauwerk auf einer Fläche, von einem Weg durchquert, zwischen innerer und mittlerer Gräfte hin. Die Untersuchung legte einen Holzbau von 15 m Länge und 5,4 m Breite frei. Im Graben des Fundaments lag auf einer Packlage von Findlingen eine Schwelle, die Träger einer Fachwerkwand mit Flechtwerk war. Eine Pfostenreihe in der Mitte des Hauses trug auf einer zugerichteten natürlichen Gabelung die Firstpfette. An dieser hingen die Rofen, um den Druck des Daches abzufangen. Ein laubenartiger Einbau scheint der Eingang von der Borgstegge (Burgstiege) aus gewesen zu sein. Der Fussboden bestand aus gestampftem Lehm; die gefundenen Scherben stammen aus dem frühen Mittelalter (ca 800 – 1050).
Der Untergrund des Hauses bestand aus frischem, bewegten Lehm, der dem angrenzenden mittlerem Graben entstammt. Mit dem Lehm wurde ein älteres Bauwerk überdeckt. Die rundliche Grube im gewachsenen Boden mit einem Durchmesser von 6 m lief in der Tiefe nach Norden aus, wo wahrscheinlich der Einschlupf war. In der Füllung konnte man 2 handbreite Brandschichten erkennen, die unterste dürfte von dem Bodenbelag, die oberste vom Holzwerk der Abdeckung stammen. Die dort gefundenen Gefäßscherben gehören ins 8. bis 9. Jahrhundert.
Im Osten dieses Bauwerks, 50 m entfernt, liegt der so im Volksmund bezeichnete Backofen. Die Untersuchung ergab eine halbkreisförmige Bodenfläche, die mit in Lehm verlegten Käßlingen (faustgroße Kieselsteine - "Kieslinge") befestigt war. An den Rändern war noch der Ansatz einer Kappe aus gleichem Material sichtbar, ähnlich einer nach vorn offenen Viertelkugel. Ähnliche Backöfen gab es früher auch auf unseren Bauernhöfen. Der angrenzende Hang zum mittleren Graben war von einer dicken Schicht Holzkohle bedeckt.
Die Borgstegge, ein aufgeschütteter Damm, führt nach Westen zum Burgtor. Ein Palisadenwall sicherte zu beiden Seiten den Eingang, nur noch zu erkennen an einer starken Brandspur. Am äußeren Graben endet der Damm in einer festgetretenen dunklen Bodenschicht, in der eine Menge Scherbenbruch von frühmittelalterlichen Gefäßen eingelagert war. Pfostensetzungen lassen vermuten, dass am Durchgang des Walles ein Innentor stand.
Ein mächtiges, gut erhaltenes Holzwerk wurde gegenüber, auf der Westseite des Grabens, im Boden gefunden. Es hatte die Form eines zur Burg hin offenen Trapezes, 10 m x 3,5 m x 5 m, aus vierkantig behauenen, sauber überblatteten und verzapften, etwa 30 cm starken Eichenbalken aufgebaut. Der unterste reichte 1,7 m tief und ruhte auf Pfählen mit dazwischen gelegten Eisenplatten. Es war die Fundamentsetzung des Außentores, das frei im Wasser gestanden haben muss, und dessen Brücke auch durch Palisadenwände abgesichert war. Aus dem Sumpfboden wurde geborgen: etwa 400 kg Scherbenbruch frühmittelalterlicher Keramik, ein Lager aus Lava (Brunnenwinde?), Spinnwirtel, ein Lederschuh, eine Eisenaxt, eine Knochenahle, Teile von hölzernen Gebrauchsgegenständen und Fehlbrände von Tongefäßen. Die Wasserzufuhr erfolgte durch die Bekke, deren Quelle 1 km östlich liegt. Ein- und Auslauf konnten durch die Anhäufung von Gefäßscherben bestimmt werden.
Die Burgbekke wurde bei der Flurbereinigung Anfang der 1970er Jahre ausgebaut. 500 m westlich der Burg vor dem Hof Möllmann-Honsel entdeckte Johann Löchteken eine Siedlung, deren Gesamtausdehnung nicht erfasst werden konnte, zeitlich aber zur Burg gehört. Auf dem nördlich angrenzenden Gelände tauchte Scherbenbruch auf, der auf ein Gräberfeld hinweist.
Ein angekohlter Baumstamm konnte aus dem erweiterten Bachbett am inneren Burggraben geborgen werden, der wahrscheinlich mit einer Zerstörung der Burg durch einen Brand zusammenhängt. Die Dendrochronologie ermittelte dafür das Jahr 1152, das Holz für die Torsetzung wurde 1117 geschlagen. Damit kann man die 2. Nutzungsperiode der Burg festlegen in die Zeit der Schwächung der Reichsgewalt, in der die aufstrebenden Territorialherrschaften sich gegenüber den Dynastengeschlechtern gewaltsam durchgesetzt haben (FN 4 + 9). Die Scherbenfunde lassen erkennen, dass eine Belegung der Burg etwa vom 9. bis zum 13. Jahrhundert anzusetzen ist.
Das ältere Erdwerk im Kretier gehört zu den befestigten Flachsiedlungen des 9. und 10. Jahrhunderts, die vor allem aus dem linksrheinischen Gebiet als Motten bekannt sind. Sie wurden als Schutz für die Landbevölkerung erbaut gegen die Überfälle der Normannen. Dazu gehören das Bannefeld und die Hanenborg (Hamborg) im Raesfelder Raum, die Olle Borg am Weißen Venn und die Pausborg in Gemenwirthe.
Das Bannefeld oder die Banderheide ist in der Sage das Gegenstück zum Kretier. Nordöstlich des Hofes Hinzelmann waren bis in die 1960er Jahre noch Graben- und Wallreste einer Erdburg erhalten geblieben; inzwischen ist die Flur Kulturland geworden. Bei Begehungen nach Tiefpflügen konnte aber immer wieder Scherbenbruch des frühen Mittelalters aufgelesen werden.
In der Westecke des Schlosses Raesfeld sitzt ein Steinwerk, dass mit seiner 1,8 m starken Mauersetzung aus Bruchstein ein unregelmäßigen Viereck von etwa 9 m Seitenlänge bildet. Bei einer Untersuchung im Jahre 1951 wurde im Innern ein Brunnen gefunden. Die gesamte Anlage entspricht den Verhältnissen unserer Turmhügelbauten, wie sie auch in der Burg Gemen rund um den Uhrenturm festgestellt werden konnten. Das Steinwerk stammt aus dem Beginn des 13. Jahrhunderts. Erbauer war vermutlich ein Angehöriger des Rittergeschlechtes de Monte (von dem Berge). Inwieweit eine Verbindung mit der Fliehburg Kretier besteht – ob als Dynastenburg oder eine vom Haupthof Rhotesvelde erbaute Zuflucht – wird wohl kaum geklärt werden können, da urkundliche Belege fehlen.
Allerdings gibt es eine Verbindung durch einen Eintrag im Tagebuch des Juristen und Historikers Jodocus Hermann Nünning (1675 – 1753) vom 23. April 1741, wonach ihm die Gräfin von Raesfeld Kretier zum Kauf angeboten und er sich eine Bedenkzeit von 8 Tagen auserbeten habe (Fn. 11).
Quellen:
- Drescher, Martin: Frühgeschichtliche Befestigungsanlagen in Raesfeld, 1951 Heimatkalender des Landkreises Borken, S. 25 f
- Heselhaus, August: Kretier, Bericht zur Aufnahme der Burgenforschung im Kreis Borken, 1954 Heimatkalender Landkreis Borken, S. 76 ff.
- Heselhaus, August: Die Bodenforschung im Borkener Raum, Ein Grabungsbericht aus den Jahren 1956/1957, Unsere Heimat 1958, Jahrbuch des Landkreises Borken, S. 61 ff.
- Siepe, Bernhard: Sachsenland und Frankenkrone, Die karolingische Grafschaft des südwestlichen Münsterlandes, Unsere Heimat 1959, Jahrbuch des Landkreises Borken, S. 52 ff.
- Feldhaus, W.: Eine unbekannte Wehranlage in Borkenwirthe, Unsere Heimat 1966, Jahrbuch des Landkreises Borken, S. 104 ff.
- Heselhaus, August: Den Geheimnissen des Kretier auf der Spur, Unsere Heimat 1968, Jahrbuch des Landkreises Borken, S. 88 ff.
- Heselhaus, August: Aus der Bodenforschung, Unsere Heimat 1972, Jahrbuch des Kreises Borken, S. 65 ff.
- Heselhaus, August: Bodenforschung im Kreise Borken, Schriftenreihe des Kreises Borken IV, Herausgeber Kreis Borken 1974, S. 49 ff.
- Heselhaus, August: Vor- und Frühgeschichte in "Der Kreis Borken", Konrad Theiss Verlag Stuttgart und Aalen 1974, ISBN 3 8062 0127 7, S. 68 ff., m. w. N.
- Böckenhoff-Budde, Johannes und Friedrich, Adalbert: Die Sonne brachte es an den Tag ..., Unsere Heimat 1980, Jahrbuch des Kreises Borken, S. 134 ff.
- Nünning, Jodocus Hermann, Tagebuch 1707 - 1748, nach dem Autograph herausgegeben von Werner Frese. Vreden: Landeskundliches Institut Westmünsterland 2013. ISBS 10: 3-937432-40-X, ISBN 13: 978-3-937432-40-3, NE: Frese, Werner (Hrsg.), S. 233